„Wenn man mit den Faszien arbeitet, behandelt man die Zweigstellen des Gehirns.
Nach allgemeinen Geschäftsregeln haben Zweigstellen gewöhnlich die gleichen Eigenschaften wie deren Zentrale.
Warum sollte man also die Faszien nicht mit dem gleichen Maß an Respekt behandeln wie das Gehirn selbst?“
Andrew Taylor Still (Begründer der Osteopathie, *1828, +1917) im Jahr 1899

Faszinierende Faszien

Ein Gebiet, auf dem die Wissenschaft im Vormarsch ist.

Still maß 1899 den Faszien „den wichtigsten und faszinierendsten Aspekt des lebendigen Körpers“ zu. „Die Seele des Menschen mit all ihren Strömen puren Lebenssaftes scheint in den Faszien des Körpers zu fließen. (…) Ich kenne keinen Teil des Körpers, der es den Faszien als Forschungsfeld gleich tun kann. Ich glaube, dass sich beim Studium der Faszien mehr reichhaltige und goldene Einsichten auftun werden, als bei irgendeinem anderen Aspekt des Körpers.“

Neben vielen andern sei an dieser Stelle insbesondere Herrn Dr. Robert Schleip (*1954, Humanbiologe und Diplom-Psychologe) gedankt. Sein Fachgebiet ist die Faszienforschung und ihm haben wir wesentliche Erkenntnisse auf diesem Gebiet sowie ein Zusammentragen des Wissens und dessen Zugänglichmachung zu verdanken.

Was sind Faszien?
Sind es nur die weißen Hüllen und Häutchen um das Fleisch oder sind Faszien viel mehr? Mit dem ersten internationalen Fascia Research Congress (2007) haben sich führende Experten auf einen Faszienbegriff geeinigt, der sehr umfassend ist. Unter dem Begriff Faszien werden verschiedene Arten von faserigem Bindegewebe zusammengefasst, die gemeinsam ein verzweigtes Netzwerk aus Hüllen, Strängen und Schichten bilden, das den ganzen Körper durchdringt. Hierzu gehören Sehnen, Sehnenscheiden und sehnige Platten im Körper ebenso wie Bänder und Muskel- und Organhüllen. Sie können hauchdünn sein aber auch mehrere Zentimeter dick werden, was wesentlich von den regelmäßig darauf einwirkenden Belastungskräften abhängt und im Falle der Muskeln nachweislich einen signifikanten Einfluss auf das Ausmaß der effektiven Muskelkraft hat.
Ganz einfach erklärt: Wäre der Körper ein „Bausatz“, so würde man vor dem Zusammenbau jeden Knochen, jedes Gelenk, jedes Organ, jeden Muskel und jede andere denkbare Struktur in eine fasziale „Tasche“ packen und diese „Taschen“ beim Zusammenbau untereinander mit weiteren faszialen „Fäden“ und „Seilen“ verbinden. Faszien bilden so eine ununterbrochene Gewebeeinheit, vom Ohr bis zum Huf, von der Haut bis in die tiefen Schichten zu den Organen. Es gibt keine Unterbrechungen in der faszialen Kontinuität.

Funktion der Faszien
Als „Organ der Form“ garantieren Faszien durch ihre stützende Funktion die strukturelle Integrität und sie sorgen dafür, dass sich alles zu einem Ganzen zusammenfügt. Der Tonus der Faszien, also ihr Spannungszustand, trägt wesentlich zur Regulation von Körperstruktur und Bewegung bei. Faszien wirken wie ein elastischer Stoßdämpfer bei Bewegungen und haben Schutzfunktion. Immer häufiger wird das Fasziennetz als eine architektonische Tensegrity Struktur gesehen, deren verzweigte Verbindungen Form und Belastungsverhalten eines Körpers wesentlich stärker beeinflussen, als die darin befindlichen Festkörper. Schleip meint hierzu: „Dieses Verständnismodell bietet eine wohltuende Alternative oder Ergänzung zur klassischen Denkweise von tragender Wirbelsäule und dem Skelett als Stützapparat.“
Dadurch, dass Faszien den Körper, flapsig ausgedrückt in verschiedene „Päckchen und Tüten“ unterteilen, bilden sie Barrieren gegen ein Eindringen von Fremdkörpern. Auch befinden sich Fresszellen als Teil des Immunsystems im Fasziensystem sowie zahlreiche Transportwege mit Ernährungs- und Stoffwechselfunktion. Nach Verletzungen bilden Faszien die Grundlage für den Heilungsprozess des Gewebes und bieten die Matrix für die interzelluläre Kommunikation.
Doch Faszien sind noch viel mehr.

Zweigstellen des Gehirns
… so bezeichnete Still bereits 1899 die Faszien. Die Forschung ist dabei diese Annahme zu beweisen. Es ist schon lange bekannt, dass nicht alle Erinnerungen allein im Gehirn abgespeichert werden, doch wo sonst? Eine Erklärung könnten die Faszien sein. Faszien scheinen mit einer „zellulären Erinnerung“ ausgestattet zu sein, die sich an ein traumatisches Erlebnis welches meist mit Anspannung einhergeht, erinnern können. Wird der Körper später erneut an dieser Stelle berührt, kann der Schmerz, das unangenehme (aber auch ein angenehmes Erlebnis) wiedererlebt werden, da die Erinnerung greift. Faszien können zuweilen diese Spannungsmuster bis zu einem gewissen Grad selbstständig korrigieren. Wird diese Grenze überschritten, können pathologische und degenerative Prozesse die Folge sein.
Permanent angespannte Faszien können auch Schmerzen ohne Berührung empfinden lassen oder die Ursache für Unwohlsein, Unzufriedenheit bis hin zu aggressivem Verhalten sein, da die aktuelle Situation durch den Filter der Erinnerung gefärbt ist und zu Missinterpretationen führen kann. Zudem verbraucht diese Anspannung unnötig Energie, die an anderer Stelle fehlt.
In der Behandlung sollte, gerade beim Pferd, damit gerechnet werden, dass es (sehr kurzfristig) in uralte Verhaltensmuster zurückfällt, während die alten, festgehaltenen Stressmuster und Kompensationen aufgelöst werden.

Faszien als Sinnesorgan
Die Sinne, wie Seh-, Hör-, Riech-, Geschmacks-, Tast- oder Gleichgewichtssinn, sind nicht wie allgemein angenommen die wichtigsten Informanten des Körpers, die Muskeln mit deren Faszien. Hier empfängt das Gehirn die meisten Informationen.
Faszien enthalten verschiedene Mechanorezeptoren, sensorische Nervenendigungen, die auf eine mechanische Druck- oder Zugbelastung reagieren, was sie zu einem wichtigen Sinnesorgan macht. Die Reize werden in Nervenerregungen des autonomen Nervensystems umgewandelt, was beispielsweise zur lokalen Tonusänderung quergestreifter Muskelfasern führen kann.

Neurone (Nervenzellen) in einem Muskelnerv

Motorischer Nerv

NervenendenZuständigkeit
VasomotorischAnnahme: Regelung der Blutzirkulation im Gewebe
MotorischSteuerung willkürlicher Bewegungen (somatomotorisch)
Steuerung unwillkürlicher Bewegungen (viszeromotorisch
SensorischWahrnehmung von Reizen

Ein typischer motorischer Nerv besteht also aus etwa dreimal so vielen sensorischen wie motorischen Neuronen. Der Körper erachtet demnach die sensorische Wahrnehmung als weitaus wichtiger als die motorische Organisation.

Einteilung der faszialen Mechanorezeptoren

RezeptorLokalisationSensitivität 
Muskelspindeln
(Typ Ia und II)
 Sie liegen zwischen den Muskelfasern der quergestreiften Muskulatur Sensitiv für Dehnreize
Golgi
(Typ Ib)
Sie liegen in Muskel-Sehnen-Übergängen (10%) sowie in Enden von Aponeurosen, Bändern peripherer Gelenke und Gelenkkapseln (90%)Das Golgi-Sehnenorgan ist sensitiv für muskuläre Kontraktion.
Andere Golgi Rezeptoren: vermutlich nur auf kräftige Dehnreize
Pacini und Paciniformen
(Typ II)
Sie liegen in Muskel-Sehnen-Übergängen, in tiefen Kapselschichten, spinalen Ligamenten und umhüllenden MuskelfaszienDiese Rezeptoren sind sensitiv für rasche Druckwechsel und vibratorische Manipulationen
Ruffini
(Typ II)
Sie liegen in Ligamenten peripherer Gelenke, der Dura mater, äußeren Kapselschichten und u. andere Gewebe, die auf regelmäßige Dehnung angelegt sindSie reagieren wie Pacini, aber auch auf anhaltenden Druck und sind speziell empfindsam für Tangentialbelastungen (Stretch)
Interstitielle
(Typ III, IV)
Häufigster Rezeptor, der sich fast überall, selbst in Knochen, findet, dichtestes Vorkommen in der KnochenhautSowohl bei wechselndem Typ III nur bei wechselndem, Typ IV auch bei anhaltenden Druck. 50% mit hoher und 50% mit niedriger Reizschwelle

Wozu dienen die einzelnen Rezeptoren?
Rezeptoren haben spezifische Eigenschaften, die in der Therapie genutzt werden können.

Muskelspindeln (Typ Ia und II)Erfassen des Dehnungszustands eines Muskels, verantwortlich für die Veränderungsgeschwindigkeit der Muskellänge, Auslösen eines Reflexes zum Zusammenziehen des Muskels bei plötzlicher Dehnung
Golgi
(Typ Ib)
Tonus Senkung von hiermit verbundenen Muskelfasern der quergestreiften Muskulatur
Seit 1997 (Ledermann) ist bekannt, das die Golgi-Sehnen-Organe nicht durch passive Dehnungen stimuliert werden, sondern nur bei aktiver muskulärer Kontraktion, da die passiven Dehnungen zuerst von dem wesentlich elastischeren Muskelgewebe gedämpft werden und die „Golgis“ offenbar nicht erreicht. Warum dennoch ein Gefühl der Entspannung entsteht, muss noch geklärt werden. Bei kräftigen Manipulationen oder bei gleichzeitiger muskulärer Kontraktion des Patienten scheint eine Nutzung des muskelentspannenden Golgi-Reflexbogens in der therapeutischen Arbeit wahrscheinlich.
Pacini und Paciniformen
(Typ II)
Propriozeptives Feedback zur Bewegungssteuerung, Bewegungsempfindung (Kinästhetik)
„Pacinis“ haben oft eine sehr geringe Reizschwelle. Da sie sich aber stark anpassen, werden sie bei ruhigen Griffen nicht stimuliert, sondern bei schnellen, ruckartigen, schaukelnden oder vibratorischen Behandlungstechniken.
Ruffini
(Typ II)
Senkung des Sympathikus, der für Leistungssteigerung, Aktivität zuständig ist.
„Ruffinis“ haben eine geringe Reizschwelle, passen sich aber im Gegensatz zu den „Pacinis“ nur langsam an und können somit auch mit ruhigeren Techniken stimuliert wird. Insbesondere reagieren sie auf „langsam schmelzende“ Faszientechniken. Auch kann über die „Ruffinis“ (zusammen mit den interstitiellen Rezeptoren) das vegetative Nervensystem erreicht werden, mit dem es in enger Wechselwirkung steht.
Interstitielle
(Typ III, IV)
Ihre Afferenzen sind wesentlich langsamer als bei TYP I und II, Typ III ist myelinisiert, Typ IV (der überwiegende Teil) ist unmyelinisiert, beide Typen enden in sog. freien myelinisierten Nervenenden.

Bei Typ I und II ist schon lange bekannt, dass sie zudem der allgemeinen Propiozeption dienen, das heißt, der Wahrnehmung der Körperbewegung und Lage, wie beispielsweise die Gelenkstellung, die im Gehirn unbewusst verarbeitet werden. Für die interstitiellen Rezeptoren ist die Erkenntnis der Propiozeption relativ jung.

Interstitielle Rezeptoren mit ihren freien Nervenenden
Sie sind vermutlich die am meisten unterschätzten Rezeptoren. 80 % der sensorischen Neurone gehören zum TYP III und IV, über deren Funktion und Wirkungsweise bis vor Kurzem nur wenig bekannt war (Engeln 1993). Sie sind sehr klein und sowohl räumlich als auch physiologisch betrachtet sehr komplex. An ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit und daran, dass man sie in fast allen Körpergeweben findet, kann man erkennen, für wie wichtig sie von Körper erachtet werden. Hierüber gelangen die meisten Informationen zum Gehirn, weit mehr als beispielsweise über Augen oder Ohren. Früher wurden sie als eindeutige Schmerzrezeptoren dargelegt, heute weiß man, dass die meisten als Mechanorezeptoren fungieren, also Druck- und Schwingungen wahrnehmen, wobei ca. 50% nur auf kräftige mechanische Einwirkung reagieren, also eine hohe Reizschwelle haben, die anderen 50% bereits auf leichte Manipulationen ansprechen. Weitere sind Nozi-, Chemo- oder Thermorezeptoren, die Schmerz signalisieren, Änderungen des chemischen Milieus sowie Temperaturschwankungen anzeigen. Interessant ist, dass vielen dieser Rezeptoren multifunktionale Eigenschaften zugeschrieben werden.
Im Fokus der Forschungen steht die Annahme, dass die freien Nervenenden offensichtlich als Feedbacksystem des vegetativen Nervensystems genutzt werden, da sie oft unmittelbare Auswirkungen auf die Regulation von Atmung, Vasodilation (Erweiterung der Blutgefäße) und vermutlich auch der Plasma-Extravasation (Austreten von Flüssigkeit) haben. Da die Funktion und Reizschwelle der freien Nervenenden andererseits auch sehr stark durch Neurotransmitter beeinflusst wird, könnten sich Rezeptoren, die ursprünglich hauptsächlich als propriozeptive Mechanorezeptoren dienten, zu hochempfindlichen reinen Schmerzrezeptoren verändern. Das bedeutet im Klartext, dass Schmerz empfunden wird, wo eigentlich kein Schmerz verursacht wurde. Der therapeutische Ansatz ist, diesen Vorgang umzukehren bzw. zu neutralisieren.
Nur bei sehr kräftiger mechanischer Manipulation wird auch die Vasodilation sowie der vermehrte Plasma-Austritt aus den Blutgefäßen in die Grundsubstanz (Kruger 1987) beeinflusst, was die Durchblutung erhöht und den Wassergehalt der lokalen Grundsubstanz erhöht. Allerdings ist eine derart massive Beeinflussung der Gewebe infrage zu stellen.

Glatte Muskelzellen in Faszien
Einige Faszien können sich aktiv zusammenziehen. Eine aktive Faszienkontraktilität wurde im Experiment an einer bestimmten Faszie bewiesen (1993 durch ein kanadisches Forschungsteam um Yahia veröffentlicht). 1997 wurden von Prof. Staubesand (Freiburger Anatom) elektronen-mikrofotografische Studien veröffentlicht, die das Vorhandensein von intrafaszialen glatten Muskelzellen in einer anderen Faszie in geringer Dichte dokumentierten (Staubesand & Li 1997, 1998). Wegen der speziellen Struktur der Faszien mit ihren vielen Kollagenverbindungen zwischen den einzelnen Elementen reichen allerdings wenige Muskelzellen aus, um eine deutliche Kontraktion der Faszien zu erreichen.
Schleip schlussfolgert: „Da nur in einer scherengitterartigen Anordnung der Kollagenfasern die biomechanischen Grundlagen gegeben sind, dass eine nur geringe Anzahl vereinzelter Muskelzellen dennoch eine signifikante Zuwirkung auf die Gesamtfaszie ausüben kann, erscheint es wahrscheinlich, dass die … aktive Faszienkontraktilität vor allem in Aponeurosen, Epimysien, und faszialen Septen auftritt, und hingegen weniger in Faszienstrukturen mit paralleler oder unregelmäßiger Faseranordnung wie etwa Ligamenten, Sehnen oder Gelenkkapseln.“ (Zeitschrift Osteopathische Medizin, Heft 1/2003). Weiter ist in dem Artikel zu lesen: Eine dünne Besiedelung der Faszienhüllen mit glatten Muskelzellen könnte auch die folgende ansonsten merkwürdige Beobachtung erklären: Die faszialen Hüllen vieler Organe bestehen hauptsächlich aus Kollagen, deren Spielraum an Elastizität eigentlich nur kleine Längenveränderungen zulassen sollte. Trotzdem kann die Milz sich innerhalb weniger Minuten auf die Hälfte ihres vorherigen Volumens verkleinern … Die wahrscheinlichste Erklärung dieses Phänomens ist das Vorhandensein von glatten Muskelzellen in der Organkapsel.“
Schleip zeigte in einem Experiment, dass isoliertes Bindegewebe ohne vorhandene Muskulatur auf Stress-Botenstoffe reagiert. Das in Flüssigkeit liegende Bindegewebe zog sich bei der Zuführung von Stress-Botenstoffen zusammen, was aufzeigt, dass Stress (auch psychischer) mit seiner folgenden Hormonausschüttung zu Verhärtungen im Bindegewebe führen kann.

Wechselwirkung mit dem Nervensystem
Das Team um Staubesand entdeckte zudem reichliche fasziale Nervenfasern, die vermutlich motorische Endigungen des sympathischen Nervensystems darstellen, also eine Wechselwirkung der Faszie mit dem Vegetativum. Es wird vermutet, dass der Körper diese faszialen Muskelzellen benutzt, um, zumindest in einigen Faszien, über das autonome Nervensystem die Vorspannung der Faszien zu regulieren. Im Rückschluss kann somit in der Behandlung auch auf das Nervensystem eingewirkt werden.
Durch Kontraktion der Faszien ist der Körper fähig, lang andauernde Zusammenziehungen zu bewerkstelligen, die zwar eine kleiner Amplitude aber große Kraft mit geringem Energieverbrauch aufweisen. Somit könnte die Faszien-Vorspannung über das vegetative Nervensystem erklärt werden, was in Kampf- oder Fluchtsituationen eine höhere Spannung und Robustheit des Bewegungsapparates herstellt, ohne wesentlich Energie und Ausdauer zu verlieren. Auch erklärbar ist hiermit die kinetische Speicherfunktion der myofaszialen Ketten als elastische Federn.

Faszienlinien und Meridianverläufe
Meridiane sind die Energieleitbahnen nach TCM, in denen die Lebensenergie fließt, auf ihnen liegen die Akupunkturpunkte. Die oberflächliche Schicht der Muskelfaszien ist an bestimmten Stellen perforiert, um Nerv, Arterie und Vene durchzulassen. 82% dieser faszialen Durchtrittsstellen sind topographisch mit traditionellen chinesischen Akupunkturpunkten identisch (Heine, 1995). Eine neuere Studie der Forscherin Langevin zeigte auf, dass die meisten Akupunkturpunkte sich entlang faszialer Linien befinden. Die Ergebnisse legen nahe, dass Meridiane die faszialen Linien für ihre Bewegung durch den Körper nutzen und eine Wirkung von Manipulationen an den Punkten umso erfolgreicher ist, je größer deren fasziale Flächenwirkung, insbesondere entlang faszialer Verzweigungslinien. Auch die freien Nervenenden erfahren laut Studie eine Veränderung, wodurch auch die Auswirkung zukünftiger Stimulationen dieser Rezeptoren durch Körperbewegungen dadurch neu eingestellt werden können (Langevin 2002). Daher ist eine detaillierte Kenntnis der faszialen Ketten bei Meridian- als auch Manualtherapeuten von Vorteil.
Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass es auch andere Erklärungsmodelle für die signifikante Entspannung gibt, die sich aber nicht zwingend widersprechen. Kovacs schlägt ein neurobiologisches Erklärungsmodell vor, welches sich auf interstitielle Rezeptoren unter der Haut und die Freisetzung von flüssigen Botenstoffen des Gehirns stützt, die schmerzfördernde Neuropeptide im Körper dämpfen. Dadurch wird sowohl die Aktivierung von nozizeptiven Fasern herabgesetzt und bereits aktivierte Schmerzrezeptoren werden wieder depolarisiert (Kovacs FM 1997).

Was macht eine Faszienbehandlung so wertvoll und schwierig zugleich?
Das Augenmerk der Behandlung ist nicht nur auf Gelenksblockierungen, ein Training der Muskulatur oder die Koordination zu richten, sondern auch auf die Faszien. Die neuen Erkenntnisse über den wesentlichen Beitrag der Faszien zur Kraftübertragung sowie als propriozeptives Sinnesorgan und als globales federndes Spannungsnetzwerk legen dies nahe. Die oben ausgeführten Erläuterungen machen klar, dass nur eine differenzierte Beachtung der Faszien eine Behandlung vollständig sein lässt, da sie einen zu großen Einfluss haben.
Bei der Behandlung ist die Intensität und die Anzahl der Wiederholungen von enormer Bedeutung, denn Untersuchungen zum Belastungsverhalten von straffem Bindegewebe (wie beispielsweise Sehnen) zeigten, dass durch leichte Dehnung vorübergehende wasserlösliche Crosslinks im Bindegewebe, die durch Immobilität entstanden sind, gelöst werden können, so wie dies auch bei normalen aktiven Bewegungen der Fall ist. Die einzelnen Kollagenfasern werden hier aus ihrer Wellenform in die Länge gestreckt, jedoch noch nicht gedehnt. Bei gesteigerter Dehnung zeigt sich eine linearer Anstieg der Widerstandstärke und um 1- 1,5 % Dehnung die allmähliche plastische Verformung der Kollagenfasern (sog. Creep-Bereich). Neuere Erkenntnisse zeigen, dass dieser Creep-Effekt jedoch erst nach 16 Stunden (Dölken 2002) auftritt, also nach wesentlich längeren Wirkzeiten, als bei einer Behandlung üblich. Starke Dehnung ab 3% führt bereits bei kurzfristiger Ausführung zur eindeutigen Traumatisierung des Gewebes und zu dauerhaften Gewebeverformungen. Es entstehen Faserrisse mit entzündlichen Prozessen. Dehnungen um mehr als 10% führen zu einem Komplettversagen des Gewebes. Beinhalten bindegewebige Strukturen mehr Elastin, verhält es sich anders. Untersuchungen zeigen, das elastische Fasern erst ab einer Dehnung von 150% beginnen, sich plastisch zu verformen. Es erscheint jedoch fraglich, ob diese Fasern um 150% gedehnt werden können, ohne vorher die hierzu parallel gelagerten Kollagenfasern desselben Gewebes über deren wesentlich geringere Dehnungskapazität hinaus zu belasten.
Namhafte Autoren gehen von der Annahme aus, dass Faszien auf eine geeignete Manipulation mit Gewebe-Entspannung antworten können. Oft spürt der Behandler ein solches Release ganz unmittelbar während einer Faszientechnik, was daher auch als unmittelbare Faszienplastizität bezeichnet wird. Traditionellerweise wird diese Plastizität mit dem viskoelastischen Belastungsverhalten des Gewebes erklärt. Bindegewebe ist wie Butter eine kolloidale Substanz, welche ihren Aggregatzustand bei Zufuhr mechanischer oder Wärme-Energie zu einer flüssigeren Form verändern kann. Für lang andauernde mechanische Einwirkungen wurde dieses auch als Thixotropie bezeichnete Konzept mehrfach bestätigt. Ob es auch hinsichtlich der kurzzeitigen Druckeinwirkungen im Rahmen eines therapeutischen Manipulationsgriffes gilt, ist hingegen umstritten.
In jedam Fall muss ein Therapeut genaue Kenntnis über die Faszien, den Einsatz von Kraft, ruckartigen und sanften Manipulationen haben, um das Gewebe sinnvoll und schonend zu beeinflussen, was dann aber zu unglaublichen Ergebnissen führen kann.